Abschied ohne Reue

Die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät hat einen neuen Prä­si­den­ten gewählt. Das Amt hat seine Tücken, weiß Amts­in­ha­ber Chris­toph Mark­schies und berich­tet davon im Interview.

HU-Präsident Markschies im Interview mit der Studentenpresse Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit zieht HU-Präsident Markschies im Interview Bilanz. Foto: Alexander Florin
2006 über­nahm der Theo­loge (Kir­chen­his­to­ri­ker) Chris­toph Mark­schies das Amt des HU-Prä­si­den­ten. Im Okto­ber über­gibt der 47-Jäh­rige die Amts­ge­schäfte an Jan-Hen­drik Olbertz (55). Fotos: Alex­an­der Florin

Ketzerisch gefragt, haben Sie sich im Rückblick auf die bisherige Amtszeit mitunter gefragt „Wie konnte Gott mir so etwas antun“?

Nie! Das würde vor­aus­set­zen, dass es schreck­lich war. Das war es aber nicht. In Berlin ist es üblich, dass Füh­rungs­äm­ter auch Brat­pfan­nen an den Kopf geschleu­dert bekom­men. Der Tag besteht ja nicht nur aus frei­f­lie­gen­den Brat­pfan­nen, son­dern aus unend­lich vielen Erleb­nis­sen. Ich hatte heute die Gele­gen­heit, den „Euro­pa­schreck“ Vaclav Klaus ken­nen­zu­ler­nen und mich mit ihm zu unter­hal­ten. Der Tag eines Uni­ver­si­täts­prä­si­den­ten besteht aus so vielen span­nen­den und schö­nen Dingen, dass Schwie­rig­kei­ten, Miss­erfolge, Häss­lich­kei­ten in meiner Wahr­neh­mung des Tages keine so große Rolle spielt. Ich habe immer wieder dem lieben Gott gedankt, mich gele­gent­lich auch beklagt, aber ihm nie vor­ge­wor­fen, dass er mich in dieses Arran­ge­ment ver­setzt hätte.

Sie wirken nicht, als würden sie das Präsidentenamt als Bürde empfinden …

Ich bereue ein wenig, dass ich mich vor der Annahme des Amtes nicht noch prä­zi­ser infor­miert habe, wie ein poli­ti­sches Amt in Berlin funk­tio­niert. Das hätte mir die Ein­ge­wöh­nungs­phase leich­ter gemacht. Ich bereue manche Nai­vi­tät des Anfän­gers, aber nicht das Amt. Ich habe als His­to­ri­ker, als Mensch, als Theo­loge unend­lich viel gelernt und bin für viele Erfah­run­gen sehr dankbar.

Als His­to­ri­ker habe ich gelernt, wie span­nend poli­ti­sche Geschichte ist – durch einen vier­ein­halb­jäh­ri­gen Selbst­ver­such. Ich habe als Mensch gelernt, dass man mit Äuße­run­gen noch sen­si­bler sein muss. Die Gefahr, dass Dinge gedeu­tet werden, wird meist unter­schätzt. Als Theo­loge habe ich gelernt, dass ich als Chris­ten­mensch genü­gend Kraft habe, mit Wider­stand umzugehen.

Sie sprachen ihre anfängliche Naivität an. Haben Sie die jetzt verloren?

Nein, das nicht, denn ich hatte schon immer ein recht rea­lis­ti­sche Anthro­po­lo­gie. Ich meinte eher die Situa­tion. So würde ich heute kein sol­ches Amt mehr über­neh­men, ohne gründ­lich den Haus­halt zu studieren.

Ist der Haushalt Ihnen auf die Füße gefallen?

Na klar (lacht). Ich würde nie mehr ein Amt über­neh­men, ohne zu wissen, wie hoch die ver­füg­ba­ren Mittel sind. Als Prä­si­dent ver­fügte ich über 3.000 Euro, die immer schon im März auf­ge­braucht waren. Das ist jetzt etwas höher – man tut ja auch etwas. Das war meine Nai­vi­tät, die bestand nicht in mensch­li­cher Hin­sicht. Jeder, der an der Uni­ver­si­tät ist – ob Pro­fes­so­ren, Stu­den­ten, Mit­ar­bei­ter oder Prä­si­den­ten –, macht Vor­aus­sa­gen über Men­schen, denen er begeg­net. Es hat mich nicht über­rascht, dass manche Men­schen mich ent­täuscht haben, von denen ich ande­res erwar­tet hatte. Dafür haben mich viele andere sehr posi­tiv über­rascht. Das ist immer so. Aber ich war naiv in der Hin­sicht, dass ich die poli­ti­schen Dimen­sio­nen des Amtes unter­schätzt habe. Die Tat­sa­che, dass ich par­tei­po­li­tisch nicht gebun­den bin, hat es mir in der par­tei­po­li­tisch genau kar­to­gra­fier­ten und ideo­lo­gi­sier­ten Ber­li­ner Poli­tik schwe­rer gemacht. Aber das ist eben so, und ich bin ganz gut damit klargekommen.

Unter dem Strich scheinen Misserfolge und Erfolge, Überraschungen und Enttäuschungen gut ausgeglichen zu sein.

Wenn ich das sta­tis­tisch aus­zäh­len wollte, hat es an jedem Tag min­des­tens eine bewe­gende Sache gege­ben. Beru­fungs­ge­sprä­che mit neuen Pro­fes­so­ren und Pro­fes­so­rin­nen gehö­ren zu dem Schöns­ten, was das Amt bieten kann, weil man mit Men­schen spricht, die ganz viele Pläne haben. Ich als Prä­si­dent kann man­ches davon ermöglichen

In der deut­schen Hoch­schul­land­schaft sind die Vor­stel­lun­gen dar­über, wie Uni­ver­si­tä­ten funk­tio­nie­ren sollen, so dif­fe­rent, dass jede pro­fi­lierte Äuße­rung sofort Wider­spruch pro­vo­ziert. Wenn man sagt „Gute sollen geför­dert werden“, wird das keinen Applaus oder „Hurra“-Rufe der Schlech­ten her­vor­ru­fen. An solche Reak­tio­nen habe ich mich emo­tio­nal gewöh­nen müssen, intel­lek­tu­ell war mir das klar.

In der per­sön­li­chen Bilanz spie­len die vorhin genann­ten flie­gen­den Brat­pfan­nen keine tra­gende Rolle. Ich bin ein grund­hei­te­rer Mensch und darin bin ich in den ver­gan­ge­nen Jahren auch nicht erschüt­tert worden.

Welche Erfolge werden Sie sich am Ende Ihrer Amtszeit zugute halten können?

Was ist wäh­rend meiner Prä­si­dent­schaft, mit meiner mal maß­geb­li­chen, mal gerin­ge­ren Betei­li­gung erreicht worden? Es ist gelun­gen, die Fach­neu­pro­fi­lie­rung sehr ener­gisch vor­an­zu­trei­ben. Über die Hälfte der Pro­fes­so­ren wurde aus­ge­tauscht. Es ist nicht nur gelun­gen, her­aus­ra­gende Ver­tre­ter für die Uni­ver­si­tät zu gewin­nen, son­dern auch fach­li­che Schwer­punkte aus­zu­bauen; als Geis­tes­wis­sen­schaft­ler sage ich da mit gewis­sem Stolz: auch in den Natur­wis­sen­schaf­ten. Es ist auch gelun­gen, Koope­ra­tio­nen zwi­schen Geis­tes- und Natur­wis­sen­schaft­lern auf­zu­bauen. Wir haben jetzt ein lebens­wis­sen­schaft­li­ches For­schungs­in­sti­tut. Es ist zwar klein und beschei­den, weil wir die Exzel­lenz­in­itia­tive nicht gewon­nen haben – das ist der Miss­erfolg meiner Prä­si­den­ten­zeit –, aber die Leute machen begeis­tert mit. Sogar aus dem Max-Planck-Insti­tut in Leip­zig kommen Wis­sen­schaft­ler zu uns. Darauf bin ich stolz. Es ist eine der Grund­ideen der Uni­ver­si­täts­grün­der, dass man nicht nur dis­zi­pli­när forscht, son­dern ver­sucht, die Tota­li­tät von Welt und Leben abzu­bil­den. Dass wir das wenigs­tens ansatz­weise tun, dar­über freue ich mich sehr.

Dieses Jahr wird sich die Humboldt-Universität wieder am Exzellenzwettbewerb beteiligen. Voller Optimismus?

Natür­lich! Man kann ja auch aus Feh­lern lernen. Damit ist noch nicht gesi­chert, dass auch andere das so sehen. Die Her­aus­for­de­run­gen sind schwe­rer als beim ersten Mal. Aber ich denke, wir haben in den ersten beiden Säulen span­nende Pro­jekte, und für die dritte Säule ist es auch gelun­gen, aus dem zu lernen, was damals falsch gelau­fen ist.

Wie verwurzelt ist die Humboldt-Universität in der Stadt, ist die HU eine Uni in Berlin oder eine Berliner Uni?

Sie heißt ja „Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Berlin“, das „zu“ kann als alter­tüm­li­ches „in“ gedeu­tet werden oder wie beim Wis­sen­schafts­kol­leg zu Berlin als Ein­rich­tung, die sich in Berlin befin­det, aber nicht auf die Stadt beschränkt ist in ihrem Anspruch und Geltungsbereich.

Ich glaube, das Ver­hält­nis der Ber­li­ner zu ihrer Uni­ver­si­tät ist in gewis­ser Hin­sicht gebro­chen. Die West­ber­li­ner haben noch immer nicht die Distanz ver­lo­ren, die sie 1968 zu ihrer Uni­ver­si­tät auf­ge­baut haben. Von den Ost­ber­li­nern sagt nur eine kleine Gruppe „Das ist unsere Hum­boldt-Uni­ver­si­tät“, andere sagen „Das war mal unsere Hum­boldt-Uni­ver­si­tät“, und die Neu-Ange­kom­me­nen haben noch gar kein Ver­hält­nis zur Hum­boldt-Uni­ver­si­tät. Wir bemü­hen uns, in unse­rem Jubi­lä­ums­jahr dieses Ver­hält­nis her­zu­stel­len, indem wir auf die großen Plätze gehen und die Hum­boldt-Uni­ver­si­tät prä­sen­tie­ren, in der Hoff­nung, zu den alten Freun­den neue Freunde zu gewin­nen. Ich denke, dass wir mehr Uni­ver­si­tät in Berlin werden müssen. Wir erwar­ten, dass die Stadt uns finan­ziert, und ohne eine Lebens­be­zie­hung zu dieser Stadt haben wir keine guten Argumente.

FU und TU sind ebenfalls Berliner Universitäten. Wie kommen Sie mit diesen klar, als Einrichtungen und menschlich?

Im Gegen­satz zu dem ver­brei­te­ten Ein­druck gibt es zahl­rei­che Koope­ra­tio­nen. Dort, wo die Ber­li­ner Wis­sen­schaft her­aus­ra­gend ist, bei­spiels­weise in der Mathe­ma­tik, geschieht das nur auf­grund von Koope­ra­tio­nen. Natür­lich gibt es bei drei Ein­rich­tun­gen, die um die knap­pen Gelder kon­kur­rie­ren, auch Fin­ger­ha­ke­leien und gele­gent­lich Streit. Mein Ein­druck ist, dass die neuen Kol­le­gen an FU und TU sehr viel offe­ner sind. Deren Vor­gän­ger waren stark geprägt von den 1968ern und den Gra­ben­kämp­fen der Post-68er. Die jet­zi­gen sind eine voll­kom­men neue Genera­tion und wissen, dass die Zusam­men­ar­beit der Insti­tu­tio­nen not­wen­dig ist, wenn man in der Wis­sen­schaft etwas vor­an­brin­gen will.

Übt die HU mit der Bachelor-Reform Verrat an ihrer Bildungstradition?

Dia­gno­sen ten­die­ren immer zu den Extre­men: Mes­sia­nis­mus oder Welt­un­ter­gang. Ich habe mit vielen Fach­schaf­ten gespro­chen, bei vielen Stu­di­en­gän­gen ist nach­jus­tiert worden. Es gibt gepan­zerte Stu­di­en­gänge, da geht das Stu­dium nicht wegen Bolo­gna unter, son­dern weil es so gepan­zert ist. Da muss etwas unter­nom­men werden, darum bemü­hen wir uns.

Es gibt ja kein Hum­boldt-Ideal als Blau­pause. Die Hum­boldt­sche Uni­ver­si­tät funk­tio­niert durch Expe­ri­mente und Praxis. Über diesem prak­ti­schen Anspruch liegt eine Art Extrem­rhe­to­rik. Das eine hat wenig mit dem ande­ren zu tun. Man muss auf­pas­sen, die prak­ti­sche Reform nicht zu sehr an der Extrem­rhe­to­rik zu ori­en­tie­ren, weder in Bezug auf Bolo­gna und deren Gegner noch in Bezug auf das Humboldt-Ideal.

Wie haben Sie mit diesem Verständnis die Bildungsproteste erlebt?

Auf der einen Seite gab es die For­de­rung nach einem Sys­tem­wech­sel, diese For­de­run­gen habe ich abge­lehnt, da ich an einem grund­sätz­li­chen Sys­tem­wech­sel nicht inter­es­siert bin. Gleich­zei­tig gab es Stu­di­en­an­fän­ger, die sich Gedan­ken über das Wesen der Uni­ver­si­tät mach­ten. Das fand ich anre­gend, denn freies Denken ohne Denk­ver­bote muss in einer Uni­ver­si­tät geför­dert werden. Den Bil­dungs­streik habe ich dort unter­stützt, wo er kon­krete Miss­stände benannt hat und mich um deren Behe­bung bemüht. Die vierte Ten­denz bei den Pro­tes­ten, die ich „Frei­bier für alle“ nenne, kann ich zwar gut ver­ste­hen, habe sie aber nicht unterstützt.

Ich bestreite, dass Stu­dien- und Gesell­schafts­re­form zusam­men­ge­hö­ren. Wenn ich gleich­zei­tig die Reform der Gesamt­ge­sell­schaft for­dere, dann bin ich nicht mehr in der Lage, die Stu­di­en­re­form in einem Insti­tut sinn­voll durchführen.

Was zeichnet einen guten Studenten in Ihren Augen aus?

Lei­den­schaft. Lei­den­schaft für die Sache, daraus folgt alles andere: nöti­ger Fleiß und Kritik. Ich bin begeis­tert, wenn sich Stu­den­ten in meinem Haupt­se­mi­nar melden und mir wider­spre­chen. Ich wün­sche mir lei­den­schaft­li­che, neu­gie­rige, kri­ti­sche Stu­den­ten, die auch so flei­ßig sind, dass sie sich erst durch den Grüt­ze­berg der Texte durch­fres­sen, bevor sie über die Texte reden. Ein Stück Beharr­lich­keit gehört auch zur Lei­den­schaft, man muss erst etwas lesen, bevor man loslegt.

Wie gehen Sie in den postpräsidialen Lebensabschnitt?

Ich werde zunächst mein Arbeits­zim­mer von Papie­ren befreien, die ich ent­we­der in den Müll oder in das Uni-Archiv gebe. Dann werde ich für ein recht langes Som­mer­se­mes­ter nach Jeru­sa­lem und Prince­ton ent­schwin­den und wieder ganz frei denken lernen.

Über Alexander (10 Artikel)
1998 bis 2008: Studium ÄdL und Angl/Am an der HU • 2000 bis 2004: Mitarbeit bei UnAufgefordert und Rettungsring • 2005 bis 2011: verantwortlicher Redakteur „Spree“ und „bus“ • mehr auf: www.zanjero.de und www.axin.de