HU: Frisch ans Werk

[Inter­view] Jan-Hen­drik Olbertz über­nimmt ab 18. Okto­ber die Amts­ge­schäfte als HU-Prä­si­dent. Wir spra­chen mit ihm über seine Visio­nen für die Humboldt-Universität.

spree: Ihr Vor­gän­ger Chris­toph Mark­schies hin­ter­lässt Ihnen nach eige­nen Anga­ben eine Bau­stelle. Wie sehen Sie das?

Olbertz: Das glaube ich auch, denn es ist ja eine posi­tive Situa­ti­ons­be­schrei­bung. Auf einer Bau­stelle ist etwas los, da wird etwas bewegt, da gibt es eine Vision, da pas­siert was. Des­we­gen finde ich diesen Ver­gleich sehr tref­fend, und mir gefällt das Bild. Eine Uni­ver­si­tät ist zudem ein so kom­ple­xes Unter­fan­gen, das wohl nie kom­plett fer­tig­ge­stellt sein wird, weil es sich immer ver­än­dert. So ähn­lich wie der Kölner Dom mit seiner Dom­bau­hütte, die seit Jahr­hun­der­ten ver­än­dert und reno­viert wird und so das große Gebilde Dom erhält. Ver­mut­lich könnte also auch ich even­tu­ell irgend­wann einmal sagen, ich hin­ter­ließe meinem Nach­fol­ger eine Baustelle.

Was sehen Sie als die größ­ten Her­aus­for­de­run­gen Ihrer Amtszeit?

Ich halte es für eine große Her­aus­for­de­rung, die Uni­ver­si­tät in wesent­li­chen Punk­ten neu zu orga­ni­sie­ren. Ich will das Fächer­spek­trum kri­tisch bewer­ten und schauen, wo sind wirk­lich Schwer­punkte, die einen Uni­ver­si­täts­stand­ort mit sol­cher Repu­ta­tion auch zukunfts­fä­hig machen: Wel­ches Fächer­pro­fil sollte diese Uni ent­wi­ckeln auch in Abgren­zung zu den beiden ande­ren Ber­li­ner Uni­ver­si­tä­ten? Als zwei­ten großen Punkt inter­es­siert mich sehr, wie sich die aus­ein­an­der­drif­ten­den Fak­to­ren Lehre, die noch sehr tra­di­tio­nell ver­an­lagt ist und so die Cur­ri­cula ent­wi­ckelt, und die moderne Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tion, die kaum noch über Fächer, son­dern inzwi­schen über Themen und Fra­ge­stel­lun­gen nach­denkt und so neue Fächer­spek­tren ent­ste­hen lässt, wieder mehr in Ein­klang brin­gen lassen. Auch die Ba/Ma-Reform berei­tet uns nach wie vor Kopf­zer­bre­chen. Außer­dem möchte ich für die HU der Frage nach­ge­hen, wie lassen sich uni­ver­sel­les Hum­boldt­sches Stu­dium und wis­sen­schaft­lich und wirt­schaft­lich gefor­derte Spe­zia­li­sie­rung besser mit­ein­an­der vereinbaren.

Das Hum­boldt­sche Bil­dungs­ideal soll ja mit Ein­füh­rung des Ba/Ma im Grunde abge­schafft worden sein …

Dieser Vor­wurf besteht nicht zu Unrecht. Ich denke aber, dass das, was mir an uni­ver­sel­lem Stu­di­en­an­spruch vor­schwebt, im Rahmen eines Ba/Ma durch­aus rea­li­siert werden kann. Viele Vor­würfe, die wir dem Ba/Ma-System anlas­ten, bestan­den vorher auch schon. Die waren damals unge­löst und sind es heute. Auch das Pro­blem der stoff­li­chen Über­frach­tung der Cur­ri­cula ist so ein Problem.

Wie ist Ihre Mei­nung zum Thema Spon­so­ring von Unis durch die Wirtschaft?

Ich würde es auch für die HU, gerade für die Cha­rité zum Bei­spiel, nicht aus­schlie­ßen. Aber, ich würde es an Bedin­gun­gen knüp­fen: Eine wirt­schaft­li­che Betei­li­gung an Pro­jek­ten der Uni­ver­si­tät nur dann, wenn die Unab­hän­gig­keit der Wis­sen­schaft und ihrer Lehre gewähr­leis­tet wird. Sonst dürfte man es nicht machen. Dann würden wir uns verkaufen.

Waren Sie in der Umstel­lungs­zeit für die Ein­füh­rung des Ba/Ma-Sys­tems?

Ich hatte ein gespal­te­nes Ver­hält­nis dazu, und das habe ich noch heute. Ich bin unter bestimm­ten Prä­mis­sen dafür, weil ich für die Idee des euro­päi­schen Hoch­schul­rau­mes bin. Ich bin mir aber nicht sicher, ob man das nur durch Anglei­chung der Struk­tu­ren erreicht. Europa ist ein Europa der Viel­falt. Besser wäre viel­leicht gewe­sen, qua­li­ta­tive Stan­dards zu ver­ein­heit­li­chen, als zu sehr Struk­tu­ren und Abläufe zu nor­mie­ren. Das macht uns ja gerade Kummer. Ich denke, wenn man diesen Pro­zess geschickt wei­ter­ent­wi­ckelt, dann bringt er gerade für junge Leute viele Vor­teile auf dem Arbeits­markt der zuneh­mend euro­pä­isch wird, ob wir wollen oder nicht.

Ihr Amts­vor­gän­ger Mark­schies kehrt in die Lehre zurück, um den Kon­takt zu den Stu­die­ren­den nicht zu ver­lie­ren. Sie sind schon länger aus der Lehre raus. Hatten Sie diese Angst nie?

Wenn mir etwas in den letz­ten Jahren gefehlt hat, dann war das der regel­mä­ßige Kon­takt zu jungen Leuten. Ich bin eigent­lich Hoch­schul­leh­rer mit Leib und Seele, und jetzt bin ich immer­hin wieder dich­ter dran. Ich kann Herrn Mark­schies sehr gut ver­ste­hen, wenn er so argu­men­tiert. Es sind seine Beweg­gründe, aber viel­leicht werde ich mich denen in ein paar Jahren anschließen.

Auch in Ihrer Prä­si­dent­schaft wird die Exzel­lenz­in­itia­tive bestim­mend sein. Wie schät­zen Sie die Chan­cen jetzt beim zwei­ten Mal ein?

Ich will da nicht ora­keln, ich denke wir haben ganz gute Chan­cen. Eine inter­na­tio­nale Gut­ach­ter­kom­mis­sion wird fest­stel­len, ob die Uni Ideen und Visio­nen für sich selbst ent­wi­ckelt hat. Ich würde daraus keine Schick­sals­frage machen, aber es ist schon sehr sehr wich­tig, dass die HU jetzt im zwei­ten Anlauf erfolg­reich ist. Was wir hier tun konn­ten – auch ich, in der kurzen Zeit, in der ich daran mit­ge­wirkt habe –, das haben wir getan.

Was möch­ten Sie heu­ti­gen Stu­den­ten mit auf den Weg geben?

Sie sollen sich zual­ler­erst auf Ihre eige­nen Kräfte besin­nen. Sie haben alle guten Gründe dieser Welt, sich selber etwas zuzu­trauen. Ich möchte Ihnen raten mit­zu­wir­ken. Dort, wo Dinge nicht so laufen, wie sie sollen, nicht nur jam­mern und klagen und protes­tieren, son­dern mach­bare, intel­li­gente Lösun­gen vor­schla­gen. Das Stu­dium ist rück­bli­ckend betrach­tet eigent­lich immer mit die schönste Zeit im Leben, daher möchte ich Ihnen emp­feh­len, bei aller gebo­te­nen Ernst­haf­tig­keit, mit der Pro­bleme bewegt und das Stu­dium vor­an­ge­trie­ben werden müssen, doch mit einer gewis­sen Leich­tig­keit zu leben und zu lernen.

Wollen Sie ein Prä­si­dent zum Anfas­sen sein?

Auf jeden Fall. Ich bin rela­tiv leicht ansprech­bar. Ins­be­son­dere dann, wenn es in einer geord­ne­ten und stil­vol­len Weise pas­siert und mög­lichst auch ein Mandat vor­han­den ist. Wenn also jemand im Namen ande­rer spricht und ein erns­tes Anlie­gen hat, dann wird er mich errei­chen, und zwar inner­halb rela­tiv kurzer Zeit. Ich ver­bar­ri­ka­diere mich kei­nes­wegs, da bin ich auch gar nicht der Typ für.

Worauf freuen Sie sich in Ihrer nun bald begin­nen­den ersten Amts­zeit am Meisten?

Ich freue mich vor allem und ganz beson­ders darauf, die Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men und loszulegen.

Zur Person:
Jan-Hen­drik Olbertz (Jahr­gang 1954) stu­dierte auf Lehr­amt (1974 bis 1978) und pro­mo­vierte 1981 zum Dr. paed. 1989 habi­li­tierte er mit der Arbeit „Aka­de­mi­sches Ethos und Hoch­schul­päd­ago­gik”. 1992 wurde er zum Pro­fes­sor für Erzie­hungs­wis­sen­schaft an der Uni­ver­si­tät Halle-Wit­ten­berg beru­fen. 2002 über­nahm er das Amt als Kul­tus­mi­nis­ter von Sach­sen-Anhalt, seit 2005 ist er Mit­glied im Prä­si­dium des Deut­schen Evan­ge­li­schen Kirchentages.

Über Philipp Blanke (13 Artikel)
Er studiert ev. Theologie und Asien-/Afrikawissenschaften an der HU. Er ist unter mehr als 20.000 Studenten der Einzige mit dieser Fächerkombination. Orte seines Wirkens waren unter Anderem der Berliner Rundfunk 91!4, Uniradio Berlin/Brandenburg, Uniscene - Berlin, dpa und Bild.